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GLS Group CEO Dr. Karl Pfaff im HZ-Interview: "Die Branche ist besser als ihr Ruf"

Veröffentlichungsdatum: 20 Aug. 2024
Karl Pfaff im Interview
Karl Pfaff im Interview
  • GLS Group CEO Dr. Karl Pfaff im HZ-Interview: "Die Branche ist besser als ihr Ruf"

Hersfeld-Rotenburg, 20. August 2024 - Karl Pfaff, oberster Chef des Paketdienstes GLS, klärt im Montagsinterview mit der Hersfelder Zeitung über die Lage der Logistik in der Region auf. Das Gespräch führte Redaktionsleiter Kai A. Struthoff. Dank seiner zentralen Lage ist der Landkreis Hersfeld-Rotenburg eine der wichtigsten Logistikregionen in Deutschland. Eines der ersten Logistik-Unternehmen vor Ort war GLS, das vor über 35 Jahren in Neuenstein gegründet wurde und inzwischen in Europa, USA und Kanada aktiv ist.

Herr Dr. Pfaff, GLS ist in rund 40 Ländern weltweit vertreten und hat seinen Hauptsitz in Amsterdam. Welche Rolle spielt im Unternehmen das kleine Neuenstein, außer vielleicht eine nostalgische als Gründungsstandort?

Neuenstein spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Natürlich ist es zunächst mal die Keimzelle von GLS. Von dort begann unsere Expansion in Europa und nach Nordamerika. Aber Neuenstein ist weiterhin, auch global betrachtet, eines unserer größten Drehkreuze und Hubs (Fachausdruck in der Logistik für Hauptumschlagsbasis). In 24 Stunden werden dort bis zu 400 000 Pakete täglich umgeschlagen. Unser deutsches Geschäft wird weiterhin von Neuenstein aus gesteuert.

GLS ist inzwischen auch in Bad Hersfeld am Schilde-Park ansässig. Welche weiteren Ziele verfolgt GLS in der Logistikregion Hersfeld-Rotenburg?
In Bad Hersfeld sitzt ein wesentlicher Teil unseres internationalen Teams, das sich zum Beispiel um den grenzüberschreitenden Paketversand kümmert. Natürlich schauen wir immer nach Erweiterungsmöglichkeiten, und das natürlich auch im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Allein schon wegen der Nähe zu Neuenstein, aber auch, weil hier nun mal die logistische Mitte von Deutschland ist. Die Region ist verkehrstechnisch zwischen A4, A5 und A7 sehr günstig gelegen, deshalb ist es nicht verwunderlich, dass hier neben GLS auch noch so viele andere Logistikfirmen ansässig sind.

Karl Pfaff im Interview
Karl Pfaff im Interview


Eben weil hier schon so viele Logistikfirmen ansässig sind: Finden Sie eigentlich noch genug Personal?
Qualifiziertes Personal zu finden ist für jedes Unternehmen, nicht nur in der Logistikbranche, schon angesichts des demografischen Wandels eine Herausforderung. Im Kreis Hersfeld-Rotenburg herrscht faktisch Vollbeschäftigung. Deshalb müssen wir findig und dicht dran am Arbeitsmarkt sein, um Personal zu finden. Aber das gelingt uns zurzeit noch relativ gut.

Das Image der Logistikbranche ist schlecht: Viele klagen über den nächtlichen Lieferverkehr mit Lärm und Abgasen, die Zusteller gelten als unterbezahlt, wirken meist gehetzt und sprechen oft kein Deutsch. Sind das alles nur Vorurteile?
Der Ruf unserer Branche ist besser, als er manchmal in den Medien dargestellt wird. Denn dort wird oft der Einzelfall herausgehoben und skandalisiert. Ich finde, das wird unserer Branche, unseren Beschäftigten und auch den Partnerunternehmen nicht gerecht. In Deutschland werden täglich rund 14 Millionen Pakete an neun Millionen Empfänger zugestellt, davon allein rund eine Million durch GLS. In der ganz, ganz überwiegenden Zahl geht dabei alles glatt. Aber wenn mal etwas nicht funktioniert, ist die Empörung groß. Wir ärgern uns selbst über jede einzelne Paketzustellung, die nicht erfolgreich ist, aber diese Einzelfälle rücken die Paketbranche schnell in ein Licht, das nicht der Realität entspricht.

Mag sein, aber schlechte Arbeitsbedingungen und die Umweltbelastungen sind nicht wegzudiskutieren, oder?
In diesem Bereich ist von allen Logistikunternehmen – von der GLS im Besonderen – enorm viel unternommen worden, um eine sauberere Logistik mit fairen Beschäftigungsverhältnissen zu gewährleisten. GLS hat in den letzten Jahren, die von vielen Turbulenzen geprägt waren, stets und proaktiv dafür gesorgt, dass die Inflation in den Löhnen und Gehältern mehr als kompensiert wurde. Wir versuchen, Mitarbeitende aber auch anderweitig zu unterstützen, zum Beispiel von den physischen Strapazen zu entlasten. Und was Lärm und Schmutz angeht: Der Transportverkehr läuft zwar immer noch überwiegend mit Verbrennermotoren. Aber wir machen große Fortschritte bei der Elektrifizierung unserer Zulieferflotten. GLS ist jetzt bei rund 20 Prozent Elektrifizierung im Nahverkehr. Mittlerweile sind für uns jeden Tag über 1 100 E-Fahrzeuge in über 250 deutschen Städten unterwegs. Das ist das Ergebnis einer gewaltigen Anstrengung. Wir sehen uns auch in der Pflicht, gemeinsam mit den Kommunen Lärmbelästigung zu vermeiden. Auch daran arbeiten wir täglich.

Trotzdem klagen viele Kunden, natürlich nicht nur von GLS, darüber, dass Pakete beschädigt ankommen, dass sie einfach irgendwo abgelegt werden, obwohl niemand daheim ist, und dass man kaum nachverfolgen kann, wo ein Paket ist und wann es geliefert wird? Ist all das unvermeidlich?
Klar ist: Jeder Fehler, jede Reklamation ist eine zu viel! Diese Mentalität wird bei uns intern auch gelebt – in allen Besprechungen, in den Depots, draußen bei den Mitarbeitenden. Aber wir operieren jeden Tag quasi am offenen Herzen: im Verkehr, in den Depots, an der Haustür. In so einer Prozesskette, die oft über sieben bis acht Stationen bis zur Haustür funktionieren muss, gibt es Bruchstellen, da geht auch mal etwas schief. Trotzdem glaube ich, dass die Kritik oft übertrieben wird. Wir Menschen neigen dazu, alles, was funktioniert, als gegeben hinzunehmen und sich über jeden Fehler schwarzzuärgern. Aber unsere Reklamationsstatistik bewegt sich im Promillebereich: Auf 1000 zugestellte Pakete gibt es nur eine Beschwerde. Die ganz überwiegende Anzahl der Zustellungen funktioniert also reibungslos. Übrigens, was die lückenlose Nachverfolgung der Pakete angeht, ist GLS mittlerweile führend, seit wir unsere Echtzeitverfolgung mit präziser Zustellprognose eingeführt haben.

Die Kollegen von Amazon denken schon eine Weile über Drohnenbelieferung nach. Sie auch?
Ich habe das am Anfang für eine clevere Marketingmaßnahme gehalten, weil gerade Journalisten dieses Thema mögen. Man muss dazu aber folgendes wissen: In Deutschland werden pro Jahr über vier Milliarden Pakete zugestellt. Wenn man die alle in die Luft werfen würde, wäre die Sonne nicht mehr zu sehen. Um also einen nennenswerten Anteil des Pakettransports in die Luft zu verlagern, bräuchte man ein richtiges Verkehrssystem am Himmel und außerdem sichere Transportvehikel, damit dem Nachbarn nichts auf den Kopf fällt, sowie sichere Landeplätze. Das ist hochkomplex, wenn man das in einem nennenswerten Rahmen machen wollte. Wo die Drohne eine echte Marktchance hat, ist etwa bei extrem dringenden Gütern wie Medikamenten, die zum Beispiel zudem noch schnell im Allgäu auf eine Alm geliefert werden müssen. Oder auch bei der Belieferung von Inseln. Dort werden vermutlich bald Drohnen eingesetzt, aber sicher nicht flächendeckend.

GLS ist nicht nur als Paketdienstleister, sondern auch als Sponsor von Borussia Dortmund bekannt: Warum Fußball? Warum Dortmund?
GLS in Deutschland ist historisch gesehen vor allem in der Geschäftskundenbelieferung stark. Deshalb war uns schnell klar, dass wir für unsere Bekanntheit bei den Endkunden mehr tun müssen. So entstand der Kontakt zu Borussia Dortmund. Wir verstehen uns eher als Herausforderer und sind nicht der etablierte Marktführer, der wohl besser bei Bayern München aufgehoben wäre. Wir wollten trotzdem einen Partner, der international bekannt und erfolgreich, aber bodenständig geblieben ist. Genau dafür steht Borussia Dortmund, der BVB passt sehr gut zu GLS.

Die Logistikbranche boomt auch, weil immer mehr Leute im Internet bestellen, was dazu führt, dass die Innenstädte immer mehr veröden. Wird dieser Boom anhalten?
Für GLS ist, wie bereits erwähnt, die Belieferung von Groß- und Einzelhandel sowie von produzierendem Gewerbe immer noch das Kerngeschäft. Wir freuen uns daher über jede Zustellung bei einem Elektromarkt, bei Bekleidungsgeschäften oder Sport-Retailern. Dieses Geschäft ist besonders nachhaltig. Wir sehen uns deshalb nicht als Verhinderer, sondern als Partner, um die Innenstädte zu beleben. Denn natürlich hat die massenhafte Haustürzustellung, die weiter zunimmt, auch negative und wenig nachhaltige Aspekte.

Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Es ist unser Auftrag, ebenso wie der des Distanzhandels und der Kommunen, die Bedingungen für eine funktionierende Haustürzustellung zu verbessern, gleichzeitig aber auch im Bereich der Out-of-Home-Zustellung voranzugehen. Das heißt, Waren werden ähnlich wie bei den Paketstationen an einen zentralen Ort geliefert und dort vom Empfänger abgeholt. Das ist ein Trend, der in anderen europäischen Ländern schon viel weiter fortgeschritten ist. Wir gehen davon aus, dass schon in einigen Jahren bis zu 40 Prozent aller Pakete nicht mehr bis an die Haustür, sondern vielmehr an solche Zentralstationen geliefert werden. Die Ausweitung unseres Netzwerks an Paketstationen und -shops ist eins der strategischen Kernthemen von GLS: In Deutschland betreiben wir mittlerweile über 8 000 Stück.

Zur Person
Dr. Karl Pfaff (45) ist in Darmstadt geboren und in Frankfurt aufgewachsen. Er hat in Hamburg Rechtswissenschaften studiert und promoviert. Anschließend arbeitete er vier Jahre für Lufthansa und vier Jahre für eine Unternehmensberatung, bevor er 2014 zu GLS kam. Dort hat er verschiedene Aufgabenbereiche betreut, war zuletzt CEO (Chief Executive Officer – englische Bezeichnung für geschäftsführendes Vorstandsmitglied) von GLS Germany und ist seit Oktober 2023 CEO der GLS Group. Karl Pfaff ist verheiratet.

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